Im letzten Blogbeitrag zeigte das Beispiel von Sorina Seitz, wie bewusst gestaltete Veränderungen im eigenen Job Zufriedenheit und Sinnempfinden tiefgreifend beeinflussen können. Sie ist damit ein Paradebeispiel für ein Konzept, das mich seit meiner Studienzeit fasziniert: Wie können Menschen ihre Arbeit so gestalten, dass sie besser zu ihnen passt – zu ihren Stärken, Interessen und Werten?
Der Begriff Job Crafting, geprägt durch die Organisationspsychologinnen Amy Wrzesniewski und Jane Dutton, beschreibt „die Maßnahmen, die Mitarbeitende ergreifen, um ihre Arbeit zu gestalten, zu formen und neu zu definieren“. Mich hat sofort angesprochen, dass es hier nicht um Organisationsvorgaben, sondern um individuelle Gestaltungsfreiheit geht, also um ein zutiefst menschliches Bedürfnis: die Möglichkeit, sich aktiv einzubringen und den eigenen Arbeitsalltag mitzugestalten.
Was mich damals theoretisch begeisterte, erlebe ich heute auch in der Praxis: Selbst in scheinbar starren Umgebungen können Menschen kreativ werden und ihren eigenen Handlungsspielraum nutzen – sei es durch eine positivere Haltung, mit der sie zur Arbeit kommen, durch eine neu organisierte To-Do-Liste oder ein inspirierendes Gespräch mit einer Kollegin. Schon solche kleinen Veränderungen können spürbar Wirkung entfalten und das Gefühl von Wirksamkeit, Zufriedenheit, Sinn und Energie deutlich steigern.
Was Job Crafting ist – und was es nicht ist
Job Crafting bedeutet, die eigene Arbeit bewusst so (mit) zu gestalten, dass sie besser zu persönlichen Stärken und Interessen passt. Dabei geht es nicht um eine komplette berufliche Neuorientierung, sondern um bewusste, selbstinitiierte Anpassungen innerhalb der bestehenden Rolle.
Diese können sich auf drei Ebenen zeigen:
- Aufgabenbezogen: Verändern, was getan wird – z. B. Prioritäten verschieben, neue Projekte anstoßen oder ungeliebte Aufgaben delegieren.
- Beziehungsbezogen: Gestalten, mit wem und wie zusammengearbeitet wird – z.B. Netzwerke ausbauen oder Kontakte gezielt miteinbeziehen.
- Kognitiv: Verändern, wie über unsere Arbeit nachgedacht wird – z.B. den Sinn, Beitrag oder Zusammenhang der eigenen Rolle neu betrachten oder positive Erlebnisse achtsam im Alltag erleben.
Diese drei Formen können auch zusammenspielen. Oft sind es gerade die kleinen Anpassungen, die den größten Unterschied im Erleben machen.
Was Job Crafting bewirken kann
Forschung aus mehr als zwei Jahrzehnten zeigt: Menschen, die Job Crafting betreiben, berichten von höherer Arbeitszufriedenheit, stärkerem Engagement, mehr Selbstwirksamkeit und besserer Gesundheit. Zudem erleben sie ihre Arbeit als sinnvoller und passender, weil sie sie selbst mitgestalten, statt sie nur auszuführen.
In meiner eigenen Forschung an der Universität St. Gallen haben wir untersucht, wie sich Job Crafting und Arbeitsfähigkeit gegenseitig beeinflussen und wie sich Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Beschäftigten zeigen. Unsere längsschnittlichen Daten zeigen, dass bestimmte Job-Crafting-Strategien – wie der gezielte Einsatz von Technologien, die strukturierte Organisation der Arbeit oder kognitives Job Crafting – die wahrgenommene Arbeitsfähigkeit langfristig erhöhen. Besonders spannend: Job Crafting wirkt bereits früh in der Karriere und sollte daher früh gefördert werden, um die nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit positiv zu unterstützen.
Job Crafting und Encore Career – ein perfektes Zusammenspiel
Gerade in der Lebensmitte oder später beginnt für viele ein inneres Nachdenken:
Was will ich noch bewegen? Was gibt mir Sinn? Wie will ich arbeiten und wofür?
Job Crafting ist dafür ein idealer Ausgangspunkt. Es lädt ein, nicht auf äußere Veränderungen zu warten, sondern selbst aktiv zu werden. Wer beginnt, kleine Gestaltungsräume im Hier und Jetzt zu nutzen, entwickelt genau die Haltung, die auch eine Encore Career trägt: Selbstwirksamkeit, Reflexion und Sinnorientierung.
Fragen, die dabei helfen können:
- Welche Aspekte meiner Arbeit passen besonders gut zu mir, welche weniger?
- Wo kann ich meine Stärken bewusster einsetzen?
- Welche kleinen Schritte würden meinen Arbeitstag stimmiger machen?
Diese Fragen können als Kompass für die selbstbestimmte Weiterentwicklung dienen. Die zweite Lebenshälfte bietet dabei eine besondere Chance: die Kombination aus Erfahrung und Gestaltungsfreude.
Mein Fazit
Job Crafting bedeutet, die eigene Arbeit nicht als starres Konstrukt zu sehen, sondern als lebendigen Raum, der sich mit uns entwickeln darf. Es ist keine radikale Veränderung, sondern oft ein feines Nachjustieren, aber mit großer Wirkung.
Mich fasziniert an diesem Thema bis heute, wie Wissenschaft und Praxis hier ineinandergreifen: Daten bestätigen, was wir intuitiv spüren – dass Selbstgestaltung uns stärkt, Sinn stiftet und gesund hält.
Ob Sie gerade am Beginn einer Encore Career stehen oder Ihre aktuelle Rolle neu beleben möchten: Probieren Sie es aus und entdecken Sie, wie viel in Ihrem Job steckt, wenn Sie ihn wirklich zu Ihrem machen.
Sophie Schepp
Quelle:
Schepp, S. T., & Boehm, S. A. (2025). Start crafting young? Exploring reciprocal effects of job crafting and work ability in younger and older workers. Journal of Business and Psychology.